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Deutschland und Ungarn: Man darf einander wieder mögen

Boris Kalnóky • 9. September 2019

Nach Jahren gegenseitiger Verbalattacken sind deutsche und ungarische Politiker wieder nett zu einander.

Es gibt nichts Gutes außer man tut es: Das ist offenbar das neue Konzept der deutschen Regierung im Umgang mit Ungarn. Jahrelang ging es kühl bis eisig zu zwischen Berlin und Budapest, aber davon ist im Augenblick kaum noch etwas zu spüren. Zwar sind die Differenzen zum Thema Rechtsstaatlichkeit nicht aus dem Weg geräumt, aber offenbar hat man entschieden, den Schwerpunkt im Umgang mit einander auf die Dinge zu legen, die positiv sind und beiden Seiten nützen. Nach dem Motto: Was uns verbindet ist mehr als das, was uns trennt. Zumal das Trennende seit 2015 vor allem die Migrationspolitik betraf, in der sich Deutschland und überhaupt die EU mittlerweile den ungarischen Positionen angenähert haben.

Nicht nur in Deutschland, auch aus der EU sind neue, freundlichere Töne zu hören. In Interviews sprachen sich die frisch gewählte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und die liberale EU-Kommissarin Magrethe Vestager beide dafür aus, den Ländern Ostmitteleuropas mit mehr Respekt zu begegnen.
Am 19. August feierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán ganz in diesem Sinne gemeinsam das 30. Jubiläum der Grenzöffnung im westungarischen Sopron. Die Stimmung war sehr gut, sagten Teilnehmer danach, ganz ohne die Spannungen, die die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen seit Jahren erschweren.

Ein Neuanfang? “Ich hoffe es”, sagt der Hisotiker Andreas Rödder, der auch im Bundesvorstand der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) sitzt. “Das Falscheste wäre jetzt, wenn beide Seiten sich in ihre Echokammern zurückziehen würden.” Agoston Mráz vom regierungsnahen ungarischen Think Tank Nézöpont meint gar einen “Friedensvertrag” zwischen Merkel und Orbán zu erkennen. “Beide sind in ihren Ländern stark und beliebt, die wirtschaftsbeziehungen sind ausgezeichnet, sie haben deshalb die Streitthemen der Migrationsdebatte beigelegt.”

Für den 9.-10. September haben sich sowohl der deutsche Außenminister Heiko Maas als auch sein ungarischer Amtskollege Péter Szijjártó zum diesjährigen Deutsch-Ungarischen Forum in Berlin angesagt, organisiert vom Deutsch-Ungarischen Jugendwerk und der Andrássy Uni. Dass die beiden Minister sich dort gemeinsam zeigen war schon lange nicht mehr selbstverständlich.

Die neue Entspanntheit im Umgang mit Ungarn hat vielleicht auch etwas mit Maas’ “neuer Ostpolitik” zu tun, die er vor gut einem Jahr einläutete. Da besuchte er ein Treffen der “Drei-Meeres-Initiative” in Warschau und kündigte an, Deutschland wolle sich dem Projekt anschließen.

Die Initiative, entstanden 2015 aus einer Idee des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda, ist sozusagen eine erweitere Version der Visegrád-Gruppe (“V4” - Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei). Man will die Kooperation der ostmitteleuropäischen Staaten vorantreiben und vor allem eine infrastrukturelle Nord-Süd-Achse im Osten Europas aufbauen: Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer. Daher “Drei Meere”. Ungarn ist voll dabei, und die Initiative ergänzt die Bestrebungen der V4, einander und damit ihr Gewicht innerhalb der EU – und gegenüber Deutschland - zu stärken.

“Die Infrastruktur in Europa – Straßen- und Eisenbahnnetz, Pipelines usw. – wurde historisch als West-Ost-Achse ausgebaut”, sagt ein hochrangiger ungarischer Funktionär, der nicht genannt werden will. “Wir wollen ergänzend eine Nord-Südachse ausbauen, um den Handel untereinander zu fördern”.
Das rechnet sich für China – denn es kann Teil seiner “neuen Seidenstraße” werden, um Waren nach Europa zu exportieren. Die derzeit beginnende Modernisierung der Eisenbahntrasse Budapest-Belgrad mit chinesischen Krediten passt dazu.

Es rechnet sich auch für die USA: Eine Stärkung Ostmitteleuropas wirkt russischen Expansionsbestrebungen in der Region entgegen.
Dass  Deutschland sich der Initiative neuerdings anschließt statt sie als “Spaltung” zu kritisieren, deutet darauf hin, dass man sich entschlossen hat,
Ostmitteleuropa als strategischen Partner und nicht vorrangig als Problemfall zu betrachten – mit einem Fokus auf den exzellenten Wirtschaftsbeziehungen.
Es ist genau das, was Ungarn und Polen seit langem wollen: Sich auf das Positive zu konzentrieren statt auf das Negative.
Das bedeutet nicht, dass Kritik aus Deutschland an “mangelnder Rechtsstaatlichkeit” und “autoritären Tendenzen” aufhören wird. Aber diese Themen können abgetrennt werden von der Grundfrage, wie man mit einander umgehen will.

Ungarn trägt auch dazu bei, die Wellen zu glätten: Seit den Europawahlen hat es keine provokative Geste aus Budapest mehr gegeben. Im Gegenteil, die geplante Einführung von Verwaltungsgerichten wie in Österreich oder Deutschland wurde auf Eis gelegt, um keine neuen Angriffsflächen zu bieten.
“Sogar bei der SPD bewegt sich etwas” zum Thema Ungarn, sagt ein deutscher Diplomat. Mit der CDU scheint man sich arrangiert zu haben, auch weil die Wahl der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionschefin mit nur neun Stimmen Mehrheit letztlich Fidesz und den Ostmitteleuropäern zu verdanken war.

Fast bizarr mutet da an, dass die größten Verstimmungen derzeit zwischen Fidesz und ihrem einstigen engsten Partner in Deutschland herrschen, der CSU. “Die Stimmung ist nicht gut”, sagt ein ranghoher CSU-Politiker, “und das wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern”. Einer Quelle zufolge erwägt die parteinahe Hanns-Seidel-Stiftung sogar, ihre Aktivitäten in der Region zu reduzieren und sich mehr mit Westeuropa zu beschäftigen.
Es liegt zum einen natürlich an der gescheiterten Kandidatur von EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber für den EU-Kommissionsvorsitz. Dabei war ein sehr öffentlicher Konflikt mit Viktor Orbán entstanden um “europäische Werte” - Weber verlor am Ende, und Orbán frohlockte für den Geschmack der CSU zu triumphant.  Dass man darüber verärgert ist, ist nachvollziehbar, auch wenn es Weber war, der Orbán zuerst attackierte. Zur Abkühlung des Verhältnisses mag aber auch die Strategie des neuen CSU-Chefs Markus Söder beitragen, die Partei mehr in die Mitte zu rücken und insbesondere Themen der Grünen zu übernehmen – was Orbán für den falschen Weg hält. Immerhin kommt dem Vernehmen nach Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber im November nach Budapest. Vielleicht kommt man einander mit der Zeit ja wieder näher.

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