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Wo Ungarn gegen die Türken verlor

Boris Kálnoky • 1. September 2019

Als Ludwig II. von Ungarn am 29. August 1526 sein Heer bei Mohács in die Schlacht führte, gehörte sein Land noch zu den mächtigen Königreichen Europas. Als sich die Überlebenden am Abend zur Flucht wandten, existierte es fast nicht mehr. Ludwig war tot und mit ihm das Gros des ungarischen Adels. Der Sieger, der osmanische Sultan Süleyman I., der Prächtige, gliederte in der Folge den größten Teil Ungarns seinem Weltreich ein, ein kleiner Teil im Westen ging an die erbberechtigten Habsburger in Wien.

Bis 1686 dauerte die osmanische Herrschaft. Erst nach der gescheiterten Belagerung Wiens durch die Türken 1683 konnten sie von den Kaiserlichen vertrieben werden, die damit dem Aufstieg Habsburgs zur Großmacht den Weg bereiteten. Siebenbürgen im Osten aber blieb ein tributpflichtiger Vasallenstaat der Osmanen.

Was bei Mohács 1526 genau passierte – auf welcher Route die Osmanen aufmarschierten, wo genau das Schlachtfeld lag, wo die wohl mehr als 10.000 Gefallenen verscharrt wurden, in welche Richtung die Überlebenden zu fliehen versuchten und wo letztlich der König auf der Flucht ertrank – all das sind bis heute offene Fragen. Eine Forschergruppe um den Historiker und Geografen Norbert Pap von der Universität Pécs meint jetzt, erste Antworten geben zu können.

Lange ging man davon aus, dass die Reste des ungarischen Heeres die Donau entlang nach Norden gezogen seien, in Richtung Ofen (heute Budapest). Norbert Pap hält dagegen einen Marsch nach Osten für wahrscheinlicher. Denn dort stand die letzte kampffähige ungarische Armee unter Johann Zápolya von Siebenbürgen, deren Ankunft Ludwig nicht abgewartet hatte. Pap argumentiert mit den Umständen von Ludwigs Tod. Er sei ertrunken, weil er versucht habe, über die Donau und die Sümpfe zu entkommen. Dort aber lag der Weg nach Osten.

Sogar den genauen Ort, an dem Ludwig II. starb und viele seiner Leute bestattet wurden, wollen Pap und sein Team lokalisiert haben. Es handelt sich um einen großen Graben, der im Kampfgeschehen eine wichtige Rolle spielte. Die Wissenschaftler bedienten sich dazu derselben Techniken, mit denen sie bereits 2014 in der Nähe der südungarischen Stadt Szigetvár die Todesstätte von Sultan Süleyman entdeckten. Auf der Grundlage alter Dokumente rekonstruierten sie mithilfe von Computersimulationen die Landschaft, die im 16. Jahrhundert ganz anders aussah als heutzutage.

Mit dieser Methode machten sie sich ein Bild von Mohács um 1526. István Brodarics, Kanzler des Königs und Teilnehmer der Schlacht, beschrieb ein Dorf namens Földvár, mit einer Kirche: eine weite Ebene, links ein langer, großer Graben, rechts ein kleines Tal, und vorn, zur Donau hin, ein Hügel. Jenseits davon lag ein tiefer Sumpf, in dem viele Soldaten des Königs auf der Flucht umkamen, nachdem sie in das Feuer der türkischen Geschütze geraten waren.

Aber gibt es keinen Ort namens Földvár bei Mohács. Und keinen einzigen Hügel. Auch keinen Sumpf. „Forscher haben im Laufe der Zeit 16 verschiedene Orte benannt, wo Földvár gelegen haben soll“, sagt Pap. Es entwickelten sich zwei Denkschulen. Die eine, ursprüngliche, wähnte den Ort der Schlacht beim heutigen Dorf Sátorhely. Aber ab den 1920er-Jahren, als man sich anlässlich des nahenden 400. Jahrestages der Schlacht näher damit befasste, kam eine andere Theorie in Mode, die den Ort weiter südlich, bei der Ortschaft Majs lokalisiert. Denn auch bei Sátorhely gab es keinen Hügel.

Diese Frage hat das Team um Pap wohl endgültig geklärt: Die Schlacht fand bei Sátorhely statt. Die Landschaftsrekonstruktion ergab, dass das Gelände bei Majs nicht genug Platz bot, um eine große Armee aufmarschieren zu lassen – Süleyman soll 60.000 bis 70.000, Ludwig etwa 30.000 Mann angeführt haben. Weder findet sich bei Majs ein großer Graben, noch ist die in allen Quellen erwähnte Nähe zur Donau gegeben. Dagegen erstreckte sich bei Sátorhely eine weite Sumpffläche, die mit einer Tiefe von bis zu vier Metern durchaus zur Todesfalle für ein fliehendes Heer werden konnte.

Von dem markanten Hügel in den Quellen ist zwar nicht mehr viel übrig, aber die Forscher fanden dennoch Überreste einer stark erodierten Erhebung, die wohl noch aus römischen Zeiten stammt. Hier führte eine römische Heerstraße die Donau entlang, und der Hügel – darauf ein Wachturm – diente der Sicherung der Straße. Das war auch der Weg, auf dem die Osmanen aufmarschierten, meint Pap. Später nannten sie die Stelle den „Sultanshügel“, da Süleyman von hier aus das Kampfgeschehen beobachtet haben soll. In ungarischen Quellen ist vom „Türkenhügel“ die Rede.

Auch einen Graben fanden die Forscher bei Sátorhely – auf Satellitenbildern: 50 Meter breit, fünf Kilometer lang, mehrere Meter tief. Ein altes Flussbett. Hier, so heißt es in den Quellen, „fanden viele Christen den Tod“. Die übereinander gehäuften Leichen bildeten an manchen Stellen „Brücken“ über den Graben. Nach der Schlacht sollen die Osmanen viele der Gefallenen in den Graben geworfen und Erde darüber geschüttet haben.

Pap will das zunächst mit Bodenproben testen, in denen der Phosphorgehalt der Erde untersucht wird: „Bei so vielen Leichen müsste die Erde viel Phosphor aufgenommen haben, das kann bis heute nachgewiesen werden.“ Zusätzlich will er die Landschaft nach geringfügigen Absenkungen untersuchen – auch das könnte sich als Hinweis auf Massengräber erweisen.

Fünf kleinere Stätten mit Überresten von Gefallenen der Schlacht wurden bei Grabungen in den 1960er-Jahren eher zufällig gefunden – alle entlang des Grabens. Bei den Knochen barg man auch Münzen – nicht wenige aus deutschen Fürstentümern. „In Ungarn denken wir oft, dass wir gegen die Türken vom Rest Europas alleingelassen wurden“, sagt Pap. In Wahrheit seien viele der Soldaten auf ungarischer Seite deutsche Söldner gewesen.

Und der König? In allen ungarischen Schulbüchern steht, dass er im Cselepatak, also im Csele-Bach ertrank. An der vermeintlichen Stelle wurde ein Obelisk errichtet. Aber nach sorgfältiger Durchsicht der Quellen und einer computergestützten Landschaftsrekonstruktion meint Pap belegen zu können, dass das nicht der Ort sein kann.

„Als die wissenschaftliche Forschung zu Mohács im 20. Jahrhundert begann, sah die Donau ganz anders aus als 1526“, sagt Pap. In einem Augenzeugenbericht steht, dass der König über einen schmalen Nebenarm der Donau zu entkommen suchte. Aber sein Pferd rutschte aus, bäumte sich auf, und Ludwig II., „der ermüdet war und dem sein Panzer schon schwer wurde“, stürzte ins Wasser.

Vor 100 Jahren, als die Erforschung von Mohács begann, gab es auf der östlichen Seite der Donau nur einen schmalen Nebenarm, den Cselepatak. Für die Forscher stand daher außer Frage, dass der König an dieser Stelle gefallen sein musste. In Wirklichkeit existierte 1526 nur am westlichen Ufer ein schmaler, etwas weiter südlich gelegener Nebenarm. Hier fand Ludwig II. den Tod, sagt Pap.

Die Forschungen haben erst begonnen. Bis zum 500. Jahrestag der Schlacht in sieben Jahren sollen alle offenen Fragen geklärt sein. Schließlich handelt es sich für Ungarn um einen Gedenktag von nationaler Bedeutung.


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